Vierter Fukushima-Jahrestag in Lüneburg

Antiatom-DoseJa, es ist bereits vier Jahre her, seit das starke Erdbeben in Japan erst die Regelstromversorgung gekappt und dann die Tsunami-Welle auch noch die Notstromdiesel der 4 Atomkraftwerks-Blöcke überspült und damit unbrauchbar gemacht hat. Die Folge dieses 100%igen Stromausfalls kennen wir alle: Die Kühlung der Reaktoren, sowie eines Teils der Abklingbecken versagte, das Wasser verdampfte und legte die Brennelemente und setzte ungeheuerliche Mengen Wasserstoffs frei. Drei komplette Kernschmelzen, sowie 2 starke Wasserstoffexplosionen und nachweisbar eine spontane Nuklearexplosion folgten schon in den ersten Tagen. Rund um die Reaktoren fand man kleinere und größere Stücke heißen Kernbrennstoffs in der Landschaft, am Strand, in den Straßen…

Kind-Einfach-Leben

Nun, 4 Jahre später scheint diese Mega-Katastrophe vergessener, als der 25 Jahre früher geschehene, umfassende SuperGAU in Tschernobyl (Ukraine) in den ersten 15 Jahren danach…

In Lüneburg fanden sich an diesem Jahrestag rund 50 Menschen ein, um der Opfer dieser zweiten Katastrophe von vor 4 Jahren zu gedenken. Vom Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgAtom) sprach Hauptredner Bernd Redecker. Das Manuskript seines Redebeitrags stellen wir hier zum Nachlesen online:

BR-RedebeitragWas heute vor vier Jahren in Japan passiert ist, brauche ich hier und heute wohl kaum erzählen. Während die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl lange geheim gehalten wurde, waren wir diesmal live dabei. Schon am nächsten Tag hatten wir von Lagatom eine Mahnwache in Lüneburg organisiert und überall in der Welt gab es eine Stimmung der Solidarität mit Japan und eine deutliche Entschlossenheit aus der Atomkraft aus-zusteigen – zumindest bei den normalen Menschen und manchmal auch bei denen in den Regierungen.

Im ersten Jahr nach der Katastrophe in Fukushima konnte man viele Informationen bekommen, was da wo passiert. Doch dann ebbte es immer mehr ab.

Das liegt an vielen Dingen … sicher auch an unserer Medienwelt, in der aktuelle Ereignisse hochgepuscht werden und dann langsam wieder in der Versenkung verschwinden.

Ein zentraler Grund liegt aber daran, dass weder Politik noch Atomwirtschaft diese Meldungen haben wollen. Während in Deutschland der Einfluss der Atomlobbyisten ganz subtil verläuft. Ist das in Japan ganz offen. Seit Dezember 2013 verbietet das “Geheimhaltungsgesetz” gründliche Recherchen über die Atomkatastrophe von Fukushima – und das Gesetz wirkt! Sogar kritische Journalisten, engagierte Umweltschützer und unerschrockene Gewerkschaftler sind durch dieses Gesetz eingeschüchtert. Der Informationsfluss aus Japan ist sehr, sehr dünn geworden. Selbst Menschen aus der Anti-Atom-Bewegung, die enge Kontakte nach Japan haben wie z.B. Alexander Neureuter haben große Probleme an Infos zu kommen.

Weil alles jetzt gut ist?

Nein, weil die japanische Regierung den Wiedereinstieg plant -> derzeit sind noch alle AKW vom Netz doch 2015 sollen 40 wieder anfahren.

Nein, weil man die Olympischen Spiele nach Tokio geholt hat, wie passen da Angaben über radioaktive Verseuchung der Japanischen See ins Bild. Da holt man sich doch lieber Tepco als Sponsor.

Nein, weil Japans Großkonzerne wie Hitachi und Mitsubishi AKW-Technologie ins Ausland exportieren. – klar, dass Japan durch das Wiederanfahren der Reaktoren die angebliche Sicherheit der eigenen AKWs, die es ins Ausland zu verkaufen gilt, unter Beweis stellen will.

In Deutschland haben 1986 verantwortliche Politiker vor laufender Kamera Milch getrunken. Wie sich die Bilder gleichen. Der Japanische Präsident Abe verspeist nun medienwirksam Sushi – angeblich von Fischen aus den Gewässern vor Fukushima – und die japanische Fußballnationalmannschaft macht Reklame für Pfirsiche aus der verseuchten Region. Hier spielt sicher auch Japanisches Nationalgefühl und Verständnis für Solidarität mit hinein. Ansonsten lässt es sich wohl kaum erklären, dass eine Supermarktkette darauf setzt nur Gemüse und Obst aus Fukushima zu verkaufen.

Vor Ort hat die Regierung angeblich alles im Griff. Die Brennelemente aus dem havarierten Nasslager sind raus und der Rückbau der betroffenen Reaktoren läuft – angeblich!

Alles im Griff?

Die internationale Atomenergiebehörde IAEA lobt in einem aktuellen Bericht die „Fortschritte“ beim Rückbau der Anlage, die radioaktive Strahlung auf dem AKW-Gelände sei stellenweise deutlich gesenkt worden.

Allerdings musste die IAEA in ihren Bericht auch einräumen, dass man immer noch vor der Frage steht, wie die Brennelemente aus den Reaktoren 1 bis 3, dort, wo eine Kernschmelze abgelaufen ist, geborgen werden sollen. Denn hierfür gibt es immer noch keine Lösung.

Auch die weitere Lagerung der geborgenen hochradioaktiven Abfälle ist noch nicht geklärt. Das Dach einer primitiven Leichtbauhalle für radioaktive Abfälle ist vor zwei Wochen durch einen Sturm teilweise zerstört worden.

Und ein sehr großes Problem ist weiterhin das radioaktive Wasser.

Das von der Bergseite kommende leicht radioaktive Grundwasser gelangt weiterhin in die Reaktorkellerräume und wird dort hochgradig radioaktiv verseucht. Hinzu kommt, dass vor allem bei Starkregen das gesamte AKW-Gelände gespült wird.

An Lösungen wird gearbeitet. Bisher aber nicht wirklich erfolgreich. Seit Mai 2014 wird etappenweise radioaktiv verseuchtes Grundwasser über einen Bypass um das AKW herum direkt ins Meer geleitet. Dadurch wird immerhin verhindert, dass es noch mehr verseucht wird – aber ist das eine gute Lösung?

Der Bau der unterirdischen „Eismauer“, die über eine Länge von 1,5 km die zerstörten Reaktoren 1 bis 4 umschließen soll, damit die austretende Radioaktivität zurück gehalten soll, wurde zwischenzeitlich aufgegeben, dann aber weiter voran getrieben. 1274 von 2049 der unterirdischen Rohrleitungen für das chemische Kühlmittel sind bereits im Boden installiert.

(Es erinnert entfernt an die verzweifelten Versuche, die Standsicherheit des Bergwerks in Gorleben durch Tieffrieren des gesamten Bodens, rund um die Bohrstelle herzustellen – Alles nur, um sich nicht einzugestehen, was das für ein Wahnsinn ist.)

Das radioaktive Wasser in den Reaktorkellen wird zum Teil abgepumpt und in über 900 Lagertanks gelagert. Dann wird versucht es zu dekontaminieren aber die dafür vorgesehene Anlage ist unterdimensioniert und zudem laufend defekt.

Anfang Januar waren in den Tanks nach offiziellen Aussagen 5 930 000 m³ aktuell ist es auf 6 090 000 m³ angestiegen. Die Obergrenze der Lagerkapazität liegt derzeit bei 7 810 000 m³. Da ist schon noch Puffer, aber nicht mehr viel.

Relativ frisch ist die Meldung, dass bei einer Kontrolle festgestellt wurde, dass sich laufend radioaktives Regenwasser wieder auf dem Dach von Reaktor 2 ansammelt und dann ungehindert abfließt.. Der Betreiber Tepco, der das zunächst verschwieg, gibt nun zu, dass das Problem schon seit Mai 2014 bekannt ist. Es wurde jedoch nichts dagegen unternommen.

Was kommt unter dem Strich dabei raus? Täglich laufen 400 m3 radioaktives Wasser ins Meer. Es verseucht nicht nur die japanische Nordostküste, sondern den gesamten Pazifik. Die radioaktiven Auswirkungen reichen bis nach Alaska, Kanada, und Kalifornien.

Das wirkt abstrakt und ist weit weg und der Pazifik ist ja auch groß, da wirkt sich das bisschen Wasser kaum aus.

Dazu ein paar Meldungen von Meeresbiologen und Fischern:

  • Bereits seit Herbst 2011 wird an der Westküste der USA ein Anstieg der Radioaktivität festgestellt.
  • Sommer 2012 werden in Kalifornien vermehrt toten Qualen angespült.
  • Frühjahr 2014 massenhaftes Absterben der Seesterne an den Küsten Kanadas uns Alaskas.
  • Vor Vancouver werden nun kaum noch Buckelwale gesichtet, einzelne irren orientierungslos herum oder weisen pathologische Veränderungen auf, wie zum Beispiel ein an der Oberfläche treibender Wal mit einem Tumor am Kopf.
  • Fischer beichten, dass auch die Sardinen und die Haie sowie andere Fischarten stellenweise auffallend weniger geworden sind.
  • Seit Sommer 2012 tritt eine Immunschwäche bei Seelöwen vor der Küste Alaskas auf. Zum selben Zeitpunkt haben Wissenschaftler im Wasser vor der Westküste Alaskas radioaktive Partikel festgestellt die nachweislich aus Fukushima stammen.

Das mag auch andere Gründe haben. Aber es liegt nahe, dass ein Zusammenhang besteht. (???)

Alles im Griff und Abe isst Sushi.

Aber wenigstens was das Thema Reaktorsicherheit anbelangt, ist es in Japan sicher zu einer Einsicht gekommen.

Denkste!

Der AKW Standort Takahama in der Wakasa-Bucht soll wieder in Betreib genommen werden. Hier stehen 14 !! Reaktoren, darunter auch schnelle Brüter. Im Stresstest wurden Erdbeben, Terrorangriffe und Tsmunamis nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Letztere, weil man gerade einen Damm baut – wohlgemerkt baut, nicht fertig hat.

Der Katastrophenschutzplan sieht eine Evakuierungszone von 30 km vor – dabei müssten die japanischen Katastrophenschützer doch nach Fukushima wissen, dass das nie ausreicht!

Aber warum mit Steinen schmeißen, wenn wir hier in Deutschland auch ein Glashaus haben. Der deutsche Stresstest führte zu dem Ergebnis, dass kein deutsches AKW in allen Punkten die vollen Ansprüche erfüllen kann. Und trotzdem sind weiterhin Reaktoren im Betrieb.

Und was ist mit den Menschen in Japan?

Wie man in einer radioaktiv verseuchten Region lebt, kann ich mir –und vermutlich ihr euch auch– nicht vorstellen. Neben der –aus unserer westlichen Sicht– schrägen Solidarität, den Atommüll über ganz Japan zu verteilen und auch verstrahltes Obst zu essen, sehen sich die Menschen in Japan einer Informationspolitik gegenüber, die sie im Dunkeln hält.

Ich habe mit Alexander Neureuter gesprochen, was er aus seinen Quellen berichten kann und er hat drei Sachen hervorgehoben:

Die amtlichen Schilddrüsen-Screenings als auch die Erkenntnisse der privaten “Fukushima Collaborative Clinic” zeigen, dass nur noch rund 40% aller untersuchten Kinder in Fukushima gesunde Schilddrüsen haben. Bei knapp 60 % der Kinder wurden Knoten und Zysten gefunden sowie 70x mehr Schilddrüsenkrebs entdeckt, als v im Landesdurchschnitt zu erwarten gewesen wäre. Neue Untersuchungen zeigen, dass die Schilddrüsen-Krebshäufigkeit weiter ansteigt.

Trotzdem betont die japanische Regierung immer noch, dass die 70-fach gestiegene Schilddrüsen-Krebshäufigkeit nichts mit Fukushima zu tun haben könne, weil auch in Tschernobyl erst fünf Jahre nach dem Unfall die ersten Schilddrüsen-Krebsfälle aufgetreten seien. Dabei verschweigt die japanische Regierung, dass die damalige Sowjetregierung zwischen 1986 und 1991 allen Wissenschaftlern verboten hat, irgendwelche Forschungen zu gesundheitlichen Folgen des Reaktorunfalls durchzuführen oder zu dokumentieren. Es kann offiziell also gar keine Studien über Schilddrüsenkrebs innerhalb der ersten fünf Jahre nach Tschernobyl geben.

In vielen Bereichen der Präfektur Fukushima ist die Strahlung immer noch so hoch, dass Kinder sich pro Tag nur 30 Minuten im Freien aufhalten dürfen. An den Nachmittagen “spielen” die Kinder auf improvisierten Indoor-Spielplätzen in ungenutzen Bürogebäuden oder Werkshallen, weil die Strahlung im Inneren der Gebäude etwas niedriger ist.

Alle Betreiber von Großküchen für Altersheime und Krankenhäuser werden seit August 2012 regelmäßig aufgefordert, die mehr oder weniger strahlenbelasteten Lebensmittel aus der Präfektur Fukushima zu kaufen und zu verarbeiten, um die Landwirte in Fukushima zu unterstützen. Ganz zynisch geht man hier wohl davon aus, dass radioaktivität mit ihren Langzeitfolgen hier auch nicht mehr Schaden kann.

Das wirkliche Ausmaß der Katastrophe für Japan können wir jetzt übrigens noch gar nicht abschätzen. Denn in der Reihe der Folgeerkrankungen ist der Schilddrüsenkrebs der erste, der massiv auftritt, andere werden folgen – Japan wird noch lange unsere Solidarität brauchen.

Ich habe Alexander deshalb nach der Klinik gefragt, für die auch viele hier in Lüneburg gespendet haben.

Die „Fukushima Collaborative Clinic“ tut unverändert ihre Arbeit und hat inzwischen mehr als 2.500 Kinder kostenlos untersucht.

Viele der untersuchten Kinden waren von den Amtsärzten während des staatlichen Schilddrüsen-Screenings ohne Befund untersucht worden, in der Fukushima Collaborative Clinic wurden dann doch Knoten und Zysten entdeckt, die von den Amtsärzten offenbar übersehen worden waren.

Die Klinik will weiter die Kinder untersuchen und plant bei Vorliegen von 5.000 Untersuchungsergeb-nissen eine unabhängige Studie herauszugeben. Das ist der pro-Atomkraft-Regierung natürlich ein Dorn im Auge.

Daher versuchen Politiker und Beamte immer stärker, die Arbeit der Klinik und die Spendenaktionen zu behindern. Eine Weise, die Klinik und ihre Ärzte in Verruf zu bringen, war die Legende, dass die Klinik von radikal linken Kräften betrieben würde. Eine andere Regierungskampagne hat den Chefarzt als unzuverlässigen Alkoholiker dargestellt. Diese staatlichen Zersetzungsversuche kennen wir im Wendland zur Genüge, oder?

Und das ist auch wirklich etwas was man lernen kann – obwohl wussten wir das nicht schon immer. Egal in welchem Land, die Mechanismen des Atomstaates sind die Gleichen: Verheimlichen, vertuschen, schönreden, bestechen, bedrohen und diffamieren. Lassen wir uns davon nicht einschüchtern.

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