Artikel zum HZG Dialog im ausgestrahlt Magazin

Interview

„Erst mal nur mit dem großen Zeh rein“

Atomkraftgegner*innen und Reaktorbetreiber entscheiden gemeinsam über den Abriss von Atomanlagen und den Umgang mit dem Strahlenmüll – unmöglich? Ausgerechnet das umstrittene, einstige Atomforschungszentrum GKSS – heute: Helmholz-Zentrum Geesthacht (HZG) – beweist das Gegenteil. Sechs Jahre läuft der Dialog-Prozess dort inzwischen; er gilt als Musterbeispiel gelungener Beteiligung. Bernd Redecker ist als Vertreter des Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgAtom) von Beginn an dabei.

 

Anti-Atom-Aktivist Bernd Redecker über den Dialog-Prozess zum Rückbau der Atomanlagen in Geesthacht, Konsense mit dem Reaktorleiter sowie zwingende Voraussetzungen erfolgreicher Beteiligung

Bernd, mit welcher Haltung ist LAgAtom damals in den Dialog mit dem HZG getreten?

Wir waren sehr kritisch. Für uns war klar: Wir gehen erst mal mit dem großen Zeh rein und wenn’s schlecht ist, dann gehen wir wieder raus. Deshalb haben wir zunächst nur eine Vorbegleitgruppe gegründet – um zu schauen, wie die Rahmenbedingungen für ein Begleitgremium sein können.

Warum hat das HZG nicht einfach den Stilllegungsantrag gestellt und fertig – wie andere Reaktorbetreiber auch?

Das HZG und seine Mitarbeiter*innen sind stark in der Region verwurzelt. Dem HZG haftet ein Negativimage an. Das hängt mit der ungeklärt hohen Kinderleukämierate in der Elbmarsch zusammen. Mit dem Wegfall der Atomsparte sollte das Forschungszentrum ein grünes Image bekommen. Das HZG wünscht sich ein gutes Verhältnis zu den – auch realen – Nachbarn.

Wie habt Ihr trotz des belasteten Verhältnisses eine Dialog-Ebene mit dem HZG gefunden?

Das war schon ziemlich heftig am Anfang. Ein Jahr lang ging es nur ums Wording. Darum, zu verstehen, wie werden Begriffe unterschiedlich gedeutet. Inzwischen finde ich die Gesprächskultur ziemlich klasse. Oft sind wir uns inhaltlich nicht einig, aber wir haben eine Bereitschaft des Zuhörens und des Wertschätzens entwickelt – das war ein langer Prozess.

Inwieweit könnt Ihr den Stilllegungsprozess als Begleitgruppe mitbestimmen?

Schwierig. Es gibt in diesem Fall rechtliche Grenzen für Mitbestimmung, das haben wir akzeptiert. Laut Atomrecht muss der Reaktorleiter die Entscheidungshoheit behalten. Es gibt aber ein Agreement mit dem HZG: Alle Entscheidungen werden zuerst mit der Begleitgruppe diskutiert. Bisher haben wir überwiegend Konsens gefunden.

Gab es Fragen, bei denen kein Konsens möglich war?

Beim Reaktordruckbehälter des Atomschiffs „Otto Hahn“ etwa. Der lagert seit 1981 in einem Betonschacht in Geesthacht – genehmigt angeblich zu Forschungszwecken. Tatsächlich hat es, wie wir herausbekamen, nie Forschung daran gegeben. Das war einfach eine Zwischenlagerung. Das HZG hat argumentiert, die Genehmigung stelle keine Verpflichtung dar, auch wirklich zu forschen. Zudem würden die Anforderungen an den Strahlenschutz ja eingehalten. Aus unserer Sicht war die Genehmigung, den da abzustellen, von Anfang an widerrechtlich – und damit sind wir dann an die Öffentlichkeit gegangen.

… was eurer Vereinbarung mit dem HZG widersprach, die Öffentlichkeit immer gemeinsam zu informieren.

Wir haben das HZG im Vorfeld über unsere Presseerklärung informiert – die waren nicht begeistert, haben es aber hingenommen. Das Ganze hat dann sowohl in Kiel als auch in Berlin für Wirbel gesorgt. Plötzlich war Geld für Gutachten und Rückbaumaßnahmen da. Das weitere Verfahren mit dem Reaktordruckbehälter wurde völlig neu durchdacht. Er wird nun wesentlich früher gemeinsam mit den Forschungsanlagen in Geesthacht zurückgebaut. Dadurch haben wir einen wesentlichen Gewinn für die Sicherheit erreicht.

Ihr habt gleich am Anfang Bedingungen an den Prozess gestellt. Warum habt Ihr nicht eigene finanzielle Mittel eingefordert?

Von Betreiberseite gab es nicht die Möglichkeit, uns einen Topf zur Verfügung zu stellen. Das geht fiskalisch nicht. Bisher funktioniert es aber auch so. Wenn wir zu bestimmten Themen Gutachten einfordern, übernimmt das HZG bislang immer die Finanzierung. Auch in der Auswahl der Gutachter*innen sind wir frei.

Das gesetzliche Beteiligungsverfahren ist mit dem Erörterungstermin abgeschlossen. Wie geht es weiter mit der Begleitgruppe im Stilllegungsverfahren?

Wir treffen uns weiterhin, bloß seltener, und werden auch die Öffentlichkeit weiter informieren. Insgesamt geht es darum, eine Lösung zu finden, die den höchstmöglichen Sicherheitsstandard und höchsten Strahlenschutz für die Bevölkerung bedeutet.

Das HZG ist in öffentlicher Hand. Wäre der gleiche Dialog-Prozess für Dich auch mit einem der großen Energiekonzerne denkbar?

Nein. Beim HZG sitzen wir mit den Entscheider*innen am Tisch: dem Reaktorleiter, dem Strahlenschutzbeauftragten, dem Pressechef und einer Frau vom operativen Management. Beim AKW Krümmel gleich nebenan ist das undenkbar. Wenn man sich da mit dem Reaktorleiter an einen Tisch setzt, ist klar, dass der innerhalb eines Weltkonzerns wie Vattenfall keine Entscheidungsmacht hat.

Ist das auch der Grund, warum LAgAtom beim Stilllegungsverfahren des AKW Krümmel nicht in der Begleitgruppe sitzt?

Wir haben Vattenfall auf ihre Einladung rückgemeldet, dass wir nur kommen, wenn der Teilnehmerkreis offen ist. Aber Vattenfall wollte die Teilnehmer*innen ihres Forums handverlesen. Für uns war das ein Signal, dass es hier nicht um Beteiligung auf Augenhöhe geht. Wenn ein Akteur entscheiden kann, wer sich hinsetzen darf, ist der Tisch nicht rund.

Unter welchen Voraussetzungen würde es Sinn machen, auch in ein Beteiligungsverfahren mit einem großen Energiekonzern wie Vattenfall zu gehen?

Wenn eine rein informative Form der Beteiligung die eigenen Erwartungen erfüllt, geht das theoretisch auch mit einem Betreiber wie Vattenfall. Bestimmte Eckpunkte müssen aber stimmen: Jeder darf kommen, jeder kann Fragen stellen, und die Themen sind nicht beschränkt. Die Tagesordnung entscheidet die Gruppe, nicht der Betreiber. Und ganz wichtig für beide Seiten: Es gibt eine externe Moderation.

Bedingungen, die der HZG-Dialog erfüllt. Was läuft beim Dialog-Forum des AKW Krümmel anders?

Da moderiert der Pressereferent des AKW die Begleitgruppe – das geht gar nicht. Ohne eine neutrale Moderation kann der Dialog nicht funktionieren. In dieser Position steckt zu viel Steuerungsmacht. Vielleicht wäre ich für das Thema Information reingegangen, wenn die Eckpunkte gestimmt hätten. Für eine echte Beteiligung sehe ich aber überhaupt keine Perspektive, wenn nicht die Entscheider*innen am Tisch sitzen. Wenn außerdem massive wirtschaftliche Interessen da sind, ist Konsens nicht möglich.

Du engagierst Dich seit vielen Jahren aktiv gegen Atomkraft. Hast Du neben Deiner Arbeit in der Begleitgruppe eigentlich noch Zeit für atompolitischen Widerstand?

Meine Zeit landet komplett im Thema Rückbau. Klar kann man kritisieren, dass solche Beteiligungsprozesse Leute gefangen nehmen, im Sinne von: Jetzt haben wir jemanden, der unbequem sein könnte, beschäftigt. Doch wenn sich niemand um dieses Thema kümmert, dann murksen die Betreiber vor sich hin. Insofern macht es in meinen Augen schon Sinn, dass sich Leute damit auseinandersetzen.

Welche Bedeutung haben Dialog-Prozesse wie der in Geesthacht für die atompolitische Debatte insgesamt?

Ich glaube, dass dieser Austausch zwischen Betreiber und Bürger*innen auf beiden Seiten neue Perspektiven ermöglicht. Durch den Druck, den wir aufbauen, entstehen innovative Ideen für den Umgang mit den strahlenden Hinterlassenschaften. Wir diskutieren ganz intensiv mit dem Reaktorleiter über Lösungen, die über das hinausgehen, was in puncto Strahlenschutz gesetzlich gefordert ist. Ich hoffe, dass der HZG-Dialog auch eine Offenheit bei anderen Betreibern weckt, ins Gespräch mit den Leuten drumherum zu gehen – weg von: Hier sind wir und da ist die Bevölkerung.

Interview: Angela Wolff

Dieses Interview erschien im .ausgestrahlt-Magazin Nr. 40, August 2018